In der Nachtbar erotisch verplappert, der schnelle Weg vom Sexismus zur Auflage.

Ein älterer, wohlsituierter Mann sitzt an der Bar. Er ist im Gespräch, ein Glas Wein in der Hand, es ist erkennbar nicht das erste. Eine junge, gutaussehende, man darf sagen eine erotische Frau, durchstreift die Nachtbar des Hotels. Sie scheint zu suchen, sie betrachtet die Gäste, als suche sie.

Als sie den älteren Herren sieht geht sie mit den ihr eigenen weichen Bewegungen auf ihn zu. Er nimmt sie scheinbar nicht wahr bis sie vor ihm steht. Sie hat den Blick gesenkt, lässt ihn aber langsam an ihrem Gegenüber nach oben gleiten, im richtigen Moment spricht sie ihn mit samtener Stimme an. „Hallo, ich bin die Himmelreich. Wie fänden Sie es denn, im fortgeschrittenen Alter zum Hoffnungsträger aufzusteigen?“ Der müde ältere Herr, dem nicht nach Himmelreich ist, schaut sie abschätzend an, er stellt sein Glas ab, was will die Frau von mir?

Dann meint er zu verstehen, er sagt „Ach, das Alter. Sie würde ich jedenfalls auf 28 Jahre schätzen. Habe ich Recht? Mit Frauen in dem Alter kenne ich mich aus.“ Das tut er auch, denn wohlsituirten, älteren Herren wird in Nachtbars von Hotels schon öfter mal das Himmelreich angeboten.

Jetzt merkt die junge Frau, dass hier etwas aus dem Ruder läuft, sie ist Journalistin aber die Reaktion ihres Gegenüber passt so garnicht. Sie versucht die Situation zu retten, stellt ihren Cuba Libre mit einer geschmeidigen Bewegung zufällig dicht neben das Glas ihres Gegenüber, sie versucht auf ganz sachlich zu schalten, bleibt am Thema „Was genau meinten Sie, als Sie in Ihrer Rede vorhin sagten, dass Deutschland sich nicht schnell genug verändert?“. Es ist nachts, niemand außer ihr hat das Thema, es ist Geisterstunde und der ältere Herr ist nach einer Flasche Wein etwas weniger wach, etwas weniger bereit eine Situation analytisch zu durchdringen, als bei seinem Vortrag am Nachmittag. Er versucht einen etwas bemühten Smalltalk, das klappt nicht, also schaltet er in den Ironiemodus. Er nimmt die junge Frau nicht ernst und fängt an das Gespräch so albern zu führen, wie die Situation ist. Er sagt etwas von einer Tanzkarte, von der Attraktivität der Frau, er scheint mit der Situation zu spielen, die Frau nervt. Sie tut das Falsche mit der falschen Methode am falschen Ort. Sie will ernsthafte Sachlichkeit an einem Ort der geschaffen ist, um das Gegenteil zu bieten.

Ein Jahr danach, der ältere Herr ist jetzt Aushängeschild einer Organisation die junge Journalistinnen eher als einen verachtenswürdigen Lobbyverband werten. Jetzt muss er in einem Boulevardmagazin lesen, dass die junge Frau damals für ein Magazin unterwegs war, das um Aufmerksamkeit und Auflage ringt. Er hatte nicht erwartet, dass eine Journalistin wirklich ernsthaft um diese Zeit, in dieser Situation den üblichen Flachsprech von ihm wollte, nein dazu musste er schon zu viele Abende in Hotelbars verbringen. Er glaubt, dass auch Journalisten das wissen und respektieren.

Er fühlt sich missbraucht, hereingelegt. Zu Unrecht. In seinem Job gibt es keine entspannten, unverfänglich privaten Orte oder Momente. Er ist nie Mensch, er ist Funktionsträger.

Missbraucht worden ist die junge Journalistin, ein kurzer, peinlicher Moment in ihrem Leben wird missbraucht. Ihre Naivität an diesem Abend, ihr mangelndes Gefühl für Situationen. Ein Jahr lang ließ der Verlag den Artikel in der Schublade. Der Verlag weis, dass es schlechter Journalismus ist, aber jetzt passt es, der alte Artikel wird strategisch eingesetzt, nicht journalistisch. Die junge Journalistin denkt es sei eine Story, sie denkt sie hätte etwas bewegt, es ist aber nichts anderes als Schmierenjournalismus mit ihrem Namen. Sie wird der Lächerlichkeit preisgegeben, um zu polarisieren. Das klappt auch nur, weil sie eine junge atttraktive Frau ist. Es ist der Sexismus mit dem hier gespielt wird, den man angeblich anprangern will. Das Magazin prangert nicht an, es nutzt aus. Die Frau und den Sexismus.

Das Boulevardmagazin hat eine vielleicht notwendige Debatte losgetreten, aber so hat die Debatte den Geruch einer künstlichen Aufgeregtheit, weil jeder merkt, dass sie gemacht ist. Das Magazin will nichts bewegen, es will Auflage. Strategie für die eigene Kasse bestimmt das Handeln, nicht journalistischer Anspruch. Schade, denn es nimmt der Debatte wahrscheinlich die Chance, dass ein reales Problem in der Gesellschaft unbefangen diskutiert wird. Es werden die Standardreflexe abgerufen, Aufgeregtheiten provoziert und Auflage gemacht. Professioneller Qualitätsjournalismus.

Unbedingt lesen, sehr guter Artikel in der FAZ

Daraus ein kurzes Zitat:

„Wie finden Sie es, im fortgeschrittenen Alter zum Hoffnungsträger aufzusteigen?“

Einem 28-jährigen Mann, der eine solche Frage einer 66-jährigen Frau stellte, würde man heimlich ein paar hinter die Löffel wünschen, und sagen würde man zu ihm: Halt die Klappe, Grünschnabel, und lern erst mal, dich zu benehmen!“

Man sieht, das ganze Thema hat eine deutliche Ungleichheit in der Frage des Blickwinkels und damit des Geschlechts. Darin liegt auch die Problematik.
Es kommt eben bei dem Satz auf die Richtung an, um ihn sexistisch zu sehen, damit auch mit den erlernten Wahrnehmungen. Es hängt wohl doch damit zusammen, das Frauen und Männer anders sind, es ist keine Frage der Gleichstellung, sondern der Beachtung und Würdigung der Unterschiede.

Man kann es kurz machen: Jede Handlung, die darauf beruht, dass Frauen als Frauen und Männer als Männer wahrgenommen werden (und wahrgenommen werden wollen), müsste demnach sexistisch sein. Und da insbesondere das Balzverhalten beider Geschlechter auf genau dieser Trennung beruht, wäre Flirten und Kontaktaufnahme in sexueller Absicht an sich sexistisch. Na prima

Cicero, die Zeitung , nicht der alte Römer. Der war bestimmt auch sexistisch.

Sehr analytisch, abwägend auch Stefan Dörner in seinem Blog.