Der Traum vom Datenschutz – ein Phantom

Als alten Bürger aus Berlin (West) erstaunt einen die aktuelle Diskussion um die Abhörskandale schon ein wenig. Erstaunen tut vor allen die Naivität, das Erstaunen darüber, dass es so ist.

Es war nie anders, nur vergessen wir schnell und gerne. Jede Generation erfindet nicht nur die Welt, sondern auch alle Probleme neu. Die Generation-Internet ist nicht anders als die vor ihr.


Wie war das früher? Alle Telefongespräche, damals waren sie noch analog, alle Faxe wurden von Berlin (West) über Richtfunkstrecken von Berlin in die Bundesrepublik übertragen, über das Gebiet der DDR. Natürlich ging schon damals jeder davon aus, dass STASI und KGB hier die Ohren drin hatten.

Dann kam Echelon, es war eigentlich dasselbe. Auch das was wir heute mit Prism und Tempora erleben ist nichts anderes als die Fortführung der „alten Hüte“ mit aktueller Technik. Warum also tun wir so überrascht?

Ob es heute gefährlicher ist, weil allumfassend, oder harmloser, weil kein menschliches Ohr mehr dahinter steckt, darüber mag man streiten. Neu, und damit ein Grund zu empörter Überraschung ist das alles nicht.

Ganz sicher sind es auch heute nicht nur westliche Demokratien, die so handeln, nur lassen sich die anderen nicht erwischen, weil es eben keine Demokratien sind, und sie keine freie Presse haben.

Seit Erfindung der E-Mail, seit es Fidonet, CompuServe und Mailboxen gibt, seit Erfindung des Akustikkopplers wissen wir, dass der Admin mehr sehen kann, als der User. Seit der ersten E-Mail wissen wir, dass E-Mail eher eine Postkarte als ein verschlossenes Einschreiben ist.

In jedem Forum kann der Admin alle Userdaten sehen, wenn er es wirklich will.

Jeder Mailprovider kann die Mails seiner Kunden lesen. Die Diskussion wurde erstmals populär, als GMail inhaltsbezogene Werbung einblendete. Was gab es damals für Diskussionen, dass Google dafür die Mails der User „lesen“ musste.

Es gibt seit Jahren Diskussionen um den Speicherort sensibler Daten. Unbedingt in Deutschland! Datenschutz!
Spamschutz durch Akismet ist in Deutschland eine Totsünde! Datenschutz!

Was sagt uns das über den Datenschutzhype in Deutschland?
Es ist zum großen Teil eine Fiktion, eine Selbsttäuschung, ein unerfüllbarer Wunsch. Das Schlimme daran ist nicht unbedingt die Sinnlosigkeit des Bestrebens, sondern eher die Realitätsferne der Handelnden, die glauben hier auf deutsch-nationaler Ebene irgendetwas erreichen zu können. Wir lernen:

Im Internet sind Daten nicht wirksam zu schützen.
Es ist der Fluch des Digitalen, dass es beliebig maschinell kopierbar, lesbar, verwertbar ist. Erzähl mir hier niemand, dass er das nicht wusste.

Die einzig wirksamen Mittel gegen Datenmissbrauch sind Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, eine unabhängige Justiz und eine freie Presse. Die Kontrolle der Regierenden ist das wirksamste und einzige Mittel gegen staatlichen Datenmissbrauch.

Es bleibt dann noch die Frage:
Wie bedroht bin ich? Wie relevant sind meine Daten? Wie gefährdet bin ich?
Das ist schwer zu sagen, es hängt eben von der Wirksamkeit der demokratischen Kontrolle und dem rechtsstaatlichen Handeln ab. Da kann es in manchen Länder durchaus Probleme geben.
Nicht nur in Diktaturen.

Die entscheidende Frage ist vielleicht, was nutzt es die ganze digitalisierte Belanglosigkeit zu durchforsten? Hat es Sinn alles zu „lesen“, um etwas zu finden, oder ist eine gezielte Ermittlungsarbeit besser? Oder doch beides?
Ist der Schaden eingetreten, dann heißt es schnell, dass der Täter es in E-Mails und Facebookeinträgen angekündigt hat. Warum hat das niemand bemerkt?

Ich bin einer von Milliarden, Teil einer Masse die Leergut erzeugt. Ein kleiner Fisch im Schwarm. Was ich schreibe steht den Mitlesern doch eher im Weg, als das es interessiert. Ich bin der, der die Filter eher verstopft. Manchmal denke ich, dass wir uns überschätzen. Mein Bewegungsprofil ist nicht interessanter, als das meiner Katze. Der Erkenntnisgewinn aus meinen Mails ist weder für den Geheimdienst wichtig, noch wird er die Welt verändern.

99% aller Mails, nicht nur meiner, interessieren wahrscheinlich nicht einmal den Empfänger.

Nein, das Schlimme an dem Skandal ist die Tatsache, dass er uns zeigt, dass wir bedeutungslos sind. Wir sind die Sandkörner, nicht die Nuggets.

Nachtrag:
Von cws zu Der Traum vom Datenschutz – ein Phantom #
Das konnte doch keiner ahnen! Oder? Eine Kolumne von Sascha Lobo bei SPIEGE-ONLINE. Perfekt, und vorgeführt.
Unbedingt lesen.