Ich will mehr Scholl-Latour und nie wieder Diekmann.

Vielleicht besteht die Krise des gedruckten Journalismus weniger in der Bösartigkeit seiner vermeintlichen Gegner und Ausbeuter, sondern einfach darin, dass es für das Produkt keine Kunden gibt?

Vielleicht ist das Produkt einfach sein Geld nicht wert?

Es werden Zeitungen produziert, die offensichtlich immer weniger gekauft werden. Die Unternehmer die das Produkt Zeitung herstellen suchen jetzt nach den Gründen. Sie suchen aber nicht wirklich nach Gründen, sondern nach Schuldigen.

Es kann nicht am Produkt liegen, denn das Produkt ist so systemrelevant, dass es nicht zur Disposition steht, nicht einmal über die Qualität darf ernsthaft gestritten werden. „Das Wort Zeitung war ursprünglich der Begriff für eine beliebige Nachricht; die Bedeutung hat sich jedoch im Laufe des 18. Jahrhunderts geändert. Heute versteht man darunter ein periodisch erscheinendes Druckerzeugnis mit aktuellem und universellem Inhalt.“ sagt uns Wikipedia.

Damit ist aber das Wesentliche noch nicht gesagt. Denn Zeitungen sind für ihre Macher noch immer der Inbegriff von Presse. Und die Presse ist für unsere staatliche Ordnung so wichtig, dass sie sich gerne selbst als die „Vierte Gewalt“ bezeichnet.

Das ist nicht falsch. Die Presse hat Macht. Die Presse hatte das Monopol auf die Verbreitung von Information, die Presse hat die Pflicht der Öffentlichkeit Informationen zugänglich zu machen, die wichtig für die Menschen und die Politik sind.

Nur ist sie scheinbar die einzige der vier Gewalten (Legislative, Judikative, Exekutive, Presse), die keinerlei demokratischer Kontrolle unterliegt. Scheinbar, denn tatsächlich unterliegt sie einer sehr demokratischen Kontrolle, der Kontrolle durch den zahlenden Kunden.

Zeitungen können jeden Tag am Kiosk, oder mit einem Abonnement oder einer Kündigung gewählt ider abgewählt werden. Nichts anderes geschieht gerade. Nur ist es diesmal anders. Früher konnte der Leser zu einer anderen Zeitung wechseln, sich aber nicht wirklich dem etablierten System entziehen, er war auf das Produkt Zeitung angewiesen, er konnte nur einen anderen Hersteller wählen.
Radio und Fernsehen brachten zum ersten Mal eine Alternative, doch es ist ein anderes Produkt, Lesen ist anders als Zuhören und Zusehen. Radio und Fernsehen sind eine wichtige Ergänzung, aber kein Ersatz.

Seit kurzer Zeit hat sich die Welt der Zeitungsmacher aber fundamental verändert. Lesen verlangt kein gedrucktes Produkt mehr. Lesen kann ich plötzlich immer und überall, und was das Schlimmste für die Verlage ist: Das Internet. Jeder kann schreiben, jeder kann informieren, jeder kann alles lesen was jeder geschrieben hat.

Zuerst war das kein Problem, es gab kaum zeitungsähnliche Produkte im Netz. Blogger waren zuerst da, aber sie waren versponnene Nerds, die aus ihrer Welt berichteten, nicht aus der großen Politik, nicht die gesellschaftlich relevanten Themen aufdeckten und analysierten. Das taten noch immer die Presseerzeugnisse.
Und sowieso, wer will schon auf dem Frühstückstisch einen PC mit 20 Zoll Monitor stehen haben. Nerds eben. Also schrieben Nerds verqaustes Zeug für Nerds.

Irgendwie, irgendwann hatte die Sache dann aber mit der technischen Entwicklung und der zunehmenden Verbreitung des Internet in den Alltag, zuhause und im Büro, einen anderen Drive bekommen. Die Verlage erkannten, dass im Internet Konkurrenz ensteht, dass sie diesen Informationkanal belegen müssen.
Das war eine richtige Erkenntnis, aber sie haben das Risiko nicht erkannt. Das Risiko der Vergleichbarkeit, des Nebeneinanders mit anderen. Das hatte es auch bei Druckerzeugnissen gegeben, nur hatte kaum jemand zwei oder drei Zeitungen abonniert.
Jetzt konnte plötzlich jeder vergleichen, konnte jeder erkennen was Eigenleistung der Redaktion ist, was eine aufgeblasene Agenturmeldung, die man so oder ähnlich plötzlich überall finden konnte. Diese Art Information wurde inflationiert und verlor an Wert.

Dann kam apple, die schon der Musikindustrie einen neuen Standard aufgezwungen hatten, und tat mit dem iPad, ohne das es jemand bemerkte, dasselbe auch mit der Presse.
Jeder hatte plötzlich viele Zeitungen, nicht nur am PC, sondern auch im Bett oder am Frühstückstisch.

Die zuvor inflationierte Ware war also nicht nur vielfach vorhanden, sondern auch jederzeit verfügbar. Schlimmer noch, es gab eine unerwartete Konkurrenz durch kleine Anbieter, Einzelkämpfer und Gemeinschftsblogs. Noch schlimmer, sie boten und bieten zum Teil guten Journalismus, das merkt der Kunde und vergleicht.

Sicher, es gab diese Leute schon immer, nur konnten sie Leser ausschließlich über die gedruckte Presse finden. Das hat sich geändert, und noch schlimmer sie tun es technisch auf Augenhöhe mit den Verlegern.

Freie Software wie WordPress bietet jedem die Chance ein professionelles Angebot zu erstellen. Das ist nicht der Unterschied zwischen einer gedruckten Zeitung und einem selbstgebastelten Flugblatt. Die Verbindlichkeit und Seriosität, die Gedrucktes mit sich brachte, ist plötzlich weg.

Es bleibt ein Unterschied, ob „Die Welt“ etwas schreibt, oder Blogger XY. Der Leser erwartet von dem Presseerzeugnis „Die Welt“ Seriosität, Sicherheit über den Wert der Information. Nur diesmal kann er Seriosität und Wert überprüfen, er kann vergleichen, er kann schnell kritische Gegendarstellungen und andere Bewertungen finden. Bei diesen Vergleichen schneiden die Qualitätsmedien, wie sie sich gerne nennen, dann leider oft schlecht ab.

Das wollen aber die Qualitätsmedien, die sich längst als systemisch unentbehrlich, gesellschaftlich wertvoll und als Gralshüter ihrer eigenen Bedeutung verstehen, nicht sehen. Es ist diese Hybris an der sie scheitern.

Das hätten sie nicht nötig, denn die Radaktionen sitzen durchaus voll von guten Journalisten, nur versuchen sie der Inflation der Nachrichten mit noch mehr Nachrichten entgegen zu wirken. Das kann nicht funktionieren. Was es braucht ist eine journalistische Währungsreform.

Ich will ein gutes Presseprodukt, einen Informationsanbieter, der mir nicht noch mehr irrelavante und redundante Informationen auf den Bildschirm wirft, sondern ein Presseprodukt, dass mir hilft die wichtigen Informationen zu verstehen. Ich will den guten Journalisten, der mehr von seinem Fachgebiet versteht als ich, und mir Dinge erklären kann, in Zusammenhänge stellt, die ich nicht kannte. Ich will die Dinge nach der Lektüre besser verstehen.

Kurz:
Ich will mehr Scholl-Latour und nie wieder Diekmann.
Ich will auch Broder, Augstein und Lobo, egal ob das teile was sie sagen oder nicht. Sie bereiichern mein Denken.

Sehr lesenswert zum Thema Michael Lohmann: Simulierter Journalismus (spiegelfechter.com)