Vom Verschwinden des Qualitätsjournalismus

Was ist Qualitätsjournalismus, was ist keiner?
Die Frage stellt sich aktuell, weil die Verlage eben dafür, dass sie diesen besonderen Journalismus bieten einen besonderen Schutz verlangen. Es ist also interessant herauszufinden, ob sie liefern, was sie schützen wollen.

Wikipedia schreibt über den Journalismus:

Journalismus charakterisiert sich durch professionelle Fremdbeobachtung verschiedener Gesellschaftsbereiche. Themen mit Aktualität, Faktizität und Relevanz stellt er durch Publikation für die öffentliche Kommunikation zur Verfügung.

Nehmen wir das einmal als Maßstab.

In der journalistischen Praxis haben sich nach meiner Beobachtung die Bereiche der „professionellen Fremdbeobachtung“ und des zur Verfügung stellen inzwischen weit voneinander entfernt. Hier sehe ich ein Problem.

Zuerst also die Funktion des Journalisten als Beobachter:
Unser Bild vom Journalisten ist geprägt von der Vorstellung des Reporters, der eine heisse Story recherchiert, eigene Quellen für seine Informationen hat, Unterlagen zugespielt bekommt. Wir denken an Die Unbestechlichen (Originaltitel: All the President’s Men) und Watergate. http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Unbestechlichen_(1976)

Was also zeichnet den Qualitätsjournalismus aus?
Was macht Journalismus überhaupt aus?

Voraussetzung dafür, das etwas Journalismus ist, ist also die eigene Fremdbeobachtung eines Geschehens. Es geht also um die bekannten W-Fragen:

Wer, was, wann, wo, wie, warum.

Das heraus zu finden ist der erste Teil der journalistischen Arbeit. Das sollte auch die Motivation für den Beruf sein. Diese Suche nach diesen sechs Antworten ist die eigentliche Aufgabe eines Journalisten, sie macht den Beruf aus, sie rechtfertigt das Ansehen und Sonderrechte.

Dann die Funktion des Journalisten als Filter, als Entscheider über Themen mit Aktualität, Faktizität und Relevanz. Das zu entscheiden verlangt Sachkenntnis und Interesse, und es verlangt Zeit.
Welche Information ist aktuell, faktisch richtig und relevant? Hier entscheidet sich was der Leser, der Zuschauer erfährt. Journalismus trägt so zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Er wird deshalb oft als vierte Gewalt im Staat bezeichnet.

Schon hier findet die erste Arbeitsteilung statt. Der eine recherchiert, ein anderer bewertet. Das ist auch sinnvoll, denn es schützt vor einseitiger Sicht, vor Betriebsblindheit und Verbohrtheit.

Soweit so gut. Jetzt kommt aber der dritte Teil. Die Information stellt der Journalist durch Publikation für die öffentliche Kommunikation zur Verfügung.
Das tut er eben nicht, das tun Verlage.

Das Problem ist, dass diese Verlage sich weniger dem Ethos eines guten Journalisten verpflichtet fühlen, sondern Gewinn erwirtschaften müssen. Das hat einmal bedeutet, als erster mit einer relevanten Story auf dem Markt zu sein, und das exclusiv, also als einziger. Also wieder Watergate und die „Washington Post“. Das Problem ist nur, dass es deutlich weniger relevante Stories gibt, als Medien, die sie gerne veröffentlichen würden. Außerdem füllt man damit keine Zeitungen und keine Internetseiten, die täglich oder sogar stündlich nach Neuigkeiten verlangen.
Also kauft man Informationen hinzu. Bei Nachrichtenagenturen. Nur, das machen alle, und so haben alle die gleichen Meldungen.
Das ist an sich noch nicht das Problem, denn der Teil der journalistischen Arbeit, der die Individualität des Presserzeugnisses ausmacht, der es zum Qualitätsjournalismus machen kann ist da noch offen.
Was hier die journalistische Arbeit ausmachen sollte sind: Bewertungen, Hintergrundinformationen, das Einordnen in Zusammenhänge und auch die Prüfung auf faktische Richtigkeit. Das verlangt eigenes Wissen, handwerkliches Können, den Willen zu gestalten, zu hinterfragen und natürlich Zeit.

Dies findet aber leider alles nicht mehr statt. Die meisten Artikel, online oder Print, bestehen heute aus dem Titel, der meist dicht am Original der Pressemeldung ist, einer fettgedruckten Kurzzusammenfassung und dem eigentlichen Artikel, der dann die journalistische Leistung ausmachen sollte. Das tut er aber fast nie. Meist ist er eine Langfassung der Kurzzusammenfassung, ohne wirklich neue Inhalte.

Ergebnis, ich will die Artikel meist nicht mehr lesen, weil ich den Inhalt schon kenne.

Nochmal Wikipedia:

Auf der Akteursebene wird der Journalismus von hauptberuflich agierenden Journalisten ausgeübt. Dafür muss ein Journalist mehr als die Hälfte seiner Einkünfte aus journalistischer Arbeit erzielen oder mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit für journalistische Medien tätig sein.

Deshalb sind Blogger keine Journalisten. Trotzdem, heute leisten viele Blogger eine bessere journalistische Arbeit als der Qualitätsjournalismus der Verlage.
Jeder einzelne liefert weniger Fakten, dafür aber mehr Einordnung und oft mehr Hintergrund. Blogger leisten den Teil der journalistischen Arbeit, der die Individualität des Journalisten, seine Weltsicht, sein persönliches Wissen seine Erfahrungen erfordert.

Es ist sicher kein Zufall, das viele der besten Blogger im Hauptberuf Journalisten sind. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Gerade im Internet ist die reine Information heute aber nicht mehr so wertvoll, wie früher, weil sie jeder hat und jeder verbreiten kann. Was auch bedeutet, dass ich sie überall finde, und zwar mit denselben Inhalten. Es wird eine Unmenge an redundanter Information erzeugt, aber das Wichtigste, die Einordnung und Bewertung durch einen für mich vertrauenswürdigen Journalisten fehlt.

Der Werbeclaim des Reifenherstellers Pirelli lautete: Power is nothing without control.
Das gilt im übertragenen Sinn auch für Informationen, und ist Kern journalistischer Arbeit den ich vermisse.